OPERNNETZ 2.12.08 AXEL GÖRITZ

OPERNNETZ 2.12.08 AXEL GÖRITZ

Zauberischer Klang

Das Personal besteht aus Schatten und Schättin, Elfen und Zwölfen, Mutanten und Grauweltlern, einem Winter- und Frühlingswächter, einem zusammengewachsenen Doppelmeister, einer Zwittergöttin, Paradieslingen, einem Nachtwunderer und den beiden Hauptfiguren Siegnot und Minneleide, die im Paradies- und Liebesgarten, in der Grenz- und Unterwelt ihre Kämpfe zu bestehen haben. Eine verhüllte Heilige Kiste spielt dabei ebenso eine zentrale Rolle wie die Titel gebende Rose, die dem Helden Siegnot aus der Brust entwächst. Doch Elfenkönigin Minneleide verschmäht zunächst die magische Blume, wird trotz aufopfernden Kampfes von Siegnot an ihrer Seite in die Unterwelt entführt. Siegnot lässt nicht ab, folgt ihr in das Höhlenreich, wo sie gequält und geschunden wird. Im erneuten Kampf-Getümmel fällt der Held. Minneleide, inzwischen geläutert, schafft es wieder in die Oberwelt, gewinnt in der Trauer um den Verstorbenen neue Kraft, gelangt bis zum paradiesischen Liebesgarten, kann den grausamen Wächter besiegen, doch dieser reißt sie mit in den Tod.

Hans Pfitzners Die Rose vom Liebesgarten ist in ihrer verwunderlichen, ja kruden Geschichte nur aus ihrer Entstehungszeit – Uraufführung 1901 – zu verstehen, in der die Verarbeitung derartiger Märchen- und Sagenstoffe regelrecht en vogue war. Doch der wegen seiner späteren NS-Nähe nicht unumstrittene Komponist wollte mit seiner zweiten Oper doch wohl zu viel auf einmal. Wofür Richard Wagner mit seinem Ring des Nibelungen vier Abende benötigte, versucht Pfitzner in dreieinhalb Stunden zu schaffen: in einem verwirrenden Kosmos aus verschiedensten Märchenelementen eine einigermaßen stringente Handlung zu erzählen. Und Wagner wabert denn auch durch fast jeden Takt des spätromantischen Werks mit seiner Natursymbolik. Wenn Pfitzners Siegnot das Schwert ergreift, klingt es wie eine Parodie auf Wagners Walküren Siegmund, andere Stellen erinnern an Siegfrieds Rheinfahrt oder Hagens Mannen-Chor; Minneleides ergreifender und erschütternder Abschiedsgesang lässt unwillkürlich an Brünnhildens Ende denken. Der zauberische Klang, die romantischen Gefühle oder die dramatisch zwingenden Ausbrüche sind gekonnt eingesetzt – doch Pfitzner war mit seinen 32 Jahren vielleicht doch noch zu sehr im Banne seines großen Vorbildes, ihm zu sehr verhaftet.

Die Oper Chemnitz hat sich in ihrer Reihe der Ausgrabungen selten gespielter Werke dennoch an die Rose vom Liebesgarten gewagt – für Gustav Mahler das großartigste Werk seit der Walküre – und mit der Inszenierung von Jürgen R. Weber ein zumindest sehr unterhaltsames, ja spannendes Stück Musiktheater auf die Bühne gebracht. Seine Regie verzichtet zu Recht auf jegliche ideologische Auseinandersetzung, sondern setzt ganz auf den märchenhaften Stoff, der in ein buntes, bisweilen fast überbordendes Fantasy-Spektakel mündet. Die Geschichte wird zwar durchaus ernst genommen und nicht persifliert, aber doch mit viel Spaß und Augenzwinkern inszeniert. Für den Kern dieses überzeugenden Ansatzes (Weber ist auch sein eigener Bühnenbildner) mag stellvertretend die riesige Kloschüssel stehen, die bühnenbeherrschend den Durchschlupf in die Unterwelt symbolisiert und in der ganz realistisch Siegnot und Minneleide in die Tiefe entschwinden. Die köstlich aufgedonnerten Kostüme mit bizarrem Kopfschmuck (Sven Bindseil) – der Chor in einer Art Lederhosen-Outfit, Minneleide im weiß glitzernden Showfummel mit Sonnenbrille oder Federboa – passen wunderschön in diese Fantasy-Welt. Statt Übertiteln wird auf seitlichen Vorhängen der sonst kaum nachzuvollziehende Handlungsfortgang erzählt und zugleich mit angehängten ironischen Kommentaren aufgebrochen.

Gesungen und getanzt (Felipe Rocha und Ramona Capraro als Schatten und Schättin) wird auf hohem Niveau. Mit Erin Caves als Siegnot steht ein veritabler Heldentenor zur Verfügung, der nicht nur die kraftvollen Ausbrüche beherrscht, sondern auch den gebrochenen Helden glaubhaft zu verkörpern weiß. Auf gleicher Höhe agiert Astrid Weber mit ihrem dramatischen Sopran als zunächst überhebliche, wie später total verzweifelte, erschütterte Minneleide. Kouta Räsänen als Waffenmeister und Nachtwunderer, Andreas Kindschuh als Sangesmeister oder André Riemer als Moormann fügen sich ebenso stimmig in die Inszenierung wie Jana Büchner und Tiina Penttinen als Schwarzhilde und Rotelse. Der Chor hat eindrucksvolle, stimmgewaltige Auftritte. Die Robert-Schumann-Philharmonie unter Leitung von Domonkos Héja lässt den spätromantischen Klangzauber erblühen, ohne im bloß schwülstigen Klangrausch zu baden.

Das Publikum verfolgt die Premiere im vollen Haus mit gespannter Aufmerksamkeit und diskutiert in der Pause vor allem über die Sinnhaftigkeit der daumenlutschenden Minneleide-Assistentinnen. Der ungeteilte, anerkennende Bravo-Beifall gilt den Sängern und Darstellern genauso wie den Musikern im Graben und dem Regieteam.

Axel Göritz

Fotos: Theater Chemnitz
OPERAPOINT 2.12.08 , Dr. Andreas Gerth

OPERAPOINT 2.12.08 , Dr. Andreas Gerth

OPERAPOINT 2.12.08 , Dr. Andreas Gerth

Chemnitz, Oper – DIE ROSE VOM LIEBESGARTEN

von Hans Pfitzner (1869-1949), Romantische Oper in zwei Akten, Libretto: James Grun; UA: 9. November 1901, Elberfeld
Regie/Bühnenbild: Jürgen R. Weber, Kostüme: Sven Bindseil, Choreographie: Lode Devos
Dirigent: Domonkos Héja, Robert-Schumann-Philharmonie, Chor und Kinderchor der Oper Chemnitz. Solisten: Erin Caves (Siegnot), Kouta Räsänen (Waffenmeister/Nachtwunderer), Andreas Kindschuh (Sangesmeister), Astrid Weber (Minneleide), Jana Büchner (Schwarzhilde), Tiina Penttinen (Rotelse), André Riemer (Moormann), Alisha Coon & Bert Uyttenhove (Zwittergöttin), Felipe Rocha (Siegnots Schatten), Ramona Capraro (Minneleides Schatten) Besuchte Aufführung: 29. November 2008 (Premiere)

Kurzinhalt
Es ist Frühlingsweihefest und Siegnot wird von der Herrscherin des Liebesgartens zum Wächter des Frühlingstores erwählt. Der Auserwählte soll mit einer Zauberrose den Eingang zum paradiesischen Reich gegen feindliche Mächte schützen. Am Tor Wache haltend begegnen Siegnot zunächst der Moormann und später die Elfenkönigin Minneleide. Siegnot verliebt sich in Minneleide und überreicht ihr als Liebespfand die zauberkräftige Rose. Als er die Geliebte in den Garten führen will, schreckt diese vor der unbekannten Welt zurück. Der Nachtwunderer dringt mit seinem Gefolge aus der Unterwelt hervor, Siegnot wird überwältigt und Minneleide in eine Berghöhle entführt. Siegnot gelangt mit Hilfe des Moormanns schwer verwundet ins Reich des Nachtwunderers, um Minneleide zu befreien. Der dunkle Herrscher will sie nur ziehen lassen, wenn es Minneleide gelänge, die Rose in den Liebesgarten zurück zu bringen. Die Elfenkönigin besteht die Probe nicht und Siegnot kämpft in größter Verzweiflung gegen den Nachtwunderer und seine Untergebenen. Alle sterben bis auf Minneleide. Nun findet Minneleide die Kraft, um zum Liebesgarten zu gelangen. Dort trifft sie am Tor den Winterwächter, der ihr den Weg versperrt. Es kommt zum Kampf, bei dem beide sterben. Der Liebesgarten erstrahlt und die Seelen von Minneleide und Siegnot werden zum ewigen Leben im Liebesgarten erhoben.
Aufführung
Anders als bei der zuletzt in Zürich 1998 gegebenen Aufführung des Werkes spielte man in Chemnitz die ungekürzte Fassung. Zwei Projektionsflächen flankieren die Bühne. Auf ihnen werden durchgängig erläuternde Texte eingeblendet, die die dargestellte Handlung kurz umreißen und durch ironische Anmerkungen des Nachtwunderers würzen. Im Vorspiel ist das Bühnengeschehen von einem durch Panzertüren gesicherten Innenraum bestimmt, der mit fantasy-märchenhaft anmutenden Details gespickt ist. In das bunte Bild fügen sich die Massen der Bewohner dieser Welt ein, die mit insektenartigen, futuristischen Kostümen die Bühne bevölkern. Siegnot ist als Mischung aus Fantasyheld mit übergroßem Schwert und Zauberrosen-Strahlenkanone ein Teil dieser Zauberwelt. Die Bühne des ersten Aktes und auch des Nachspiels wird von einem überdimensionierten Toilettenbecken dominiert, dem Eingang zur Unterwelt des Nachtwunderers. Sie wird von einem Rampenaufgang mit Vorhang zum Liebesgarten und durchbrochenen Seitenwänden flankiert. Die Welt des Nachtwunderers im zweiten Akt zeigt eine graue Basalthöhle, die einer Schaltzentrale gleich mit technischen Elementen versehen ist. Sie wird von übertrieben fetischbeladenen Wesen bevölkert. Der sich im Zentrum der Bühne befindliche Steinkoloß dreht sich im Verlauf der Handlung und erweist sich als Karl-Marx-Kopf. Diese Aktion ist dem Handlungsverständnis wenig dienlich und wirkt, insbesondere ohne weitere erhellende Reflexion in Kostümen oder weiteren Bühnenelementen, völlig deplatziert. Stärker wird die Aufführung wieder im Nachspiel, wenn unter Reduktion symbolträchtiger Elemente der Liebesgarten erstrahlt und die Scheinwerfer den Publikumsraum blendend erhellen.
Sänger und Orchester
Die gesanglichen Leistungen überzeugen bis in die Nebenrollen. Tiina Penttinen (Rotelse) und Jana Büchner (Schwarzhilde) sind hierbei besonders hervorzuheben. Ihr Gesang ist unangestrengt und doch bewegend. André Riemer wird seiner Rolle als Moormann durch angenehm zurückhaltend affektierte Betonung gerecht. Uneingeschränkter Star des Abends war Astrid Weber (Minneleide), die sowohl in den dramatischen Partien des Nachspiels an intensiver Ausdruckskraft gewann, als auch in den lyrischen Abschnitten mit gefühlvoller Bewegung überzeugte. Erin Caves (Siegnot) gelingt ein motiviert mitreißender Balanceakt zwischen heldischer und lyrischer Interpretation, wobei seine lyrischen Stärken in den Partien zusammen mit Astrid Weber voll erblühen. Kouta Räsänen ist in der Rolle des Waffenmeisters solide angelegt und füllt die Partie des Nachtwunderers mit eindringlicher Diktion aus.
Das in sich stimmige Bild der gesanglichen Geschlossenheit in Stärke und Ausdruckskraft des Ensembles wurde durch die Leistung des Orchesters untermauert. Die Robert-Schumann-Philharmonie spielte mit lebendiger Eindringlichkeit, wobei insbesondere die Streicher in sphärischen Abschnitten einen harmonisch tiefendynamischen Eindruck hinterließen. Die Chöre machten zudem in den Chortableaus des Vorspiels eine stimmlich glänzend durchtrainierte Figur.
Fazit
Eine insgesamt gelungene Produktion, die Appetit auf weitere „Ausgrabungen“ der Oper Chemnitz macht.
Dr. Andreas Gerth

Neues Deutschland 4.12. Siegnot und Minneleide Hans Pfitzners »Rose vom Liebesgarten« in Chemnitz Von Werner Wolf

Neues Deutschland 4.12. Siegnot und Minneleide Hans Pfitzners »Rose vom Liebesgarten« in Chemnitz Von Werner Wolf

04.12.2008

Siegnot und Minneleide

Hans Pfitzners »Rose vom Liebesgarten« in Chemnitz

Von Werner Wolf

Knapp 60 Jahre nach seinem Tod wird um Hans Pfitzner noch immer gestritten. Der Streit geht kaum um sein kompositorisches Werk, sondern um fragwürdige politische Auffassungen und speziell um kritische Äußerungen zum Judentum, obwohl er mit nicht wenigen jüdischen Künstlern befreundet war. Wer sich mit anderen Meistern der Musik und der Dichtung beschäftigt, stellt fest, dass Pfitzner damit nicht allein dasteht. Diese Problematik lässt sich mit dem oft praktizierten Herausgreifen einzelner Äußerungen schwerlich klären, sondern bedarf endlich einer umfassenden Untersuchung im Zusammenhang mit der vielschichtigen gesellschaftlichen Entwicklung des 19. und 20. Jahrhunderts. Zudem verlangt deren Klärung die intensive Beschäftigung mit dem Werk der Künstler. Im Fall des national gesinnten Hans Pfitzner zeigt sich schnell, dass es in dessen Werk antisemitische, nationalistische oder gar chauvinistische Tendenzen nicht gibt. Er fühlte sich in seinem Schaffen den humanistischen Traditionen vor allem des 18. und 19. Jahrhunderts verpflichtet. Pfitzners jetzt im Opernhaus Chemnitz neu inszenierte, 1897/1900 entstandene romantische Oper »Die Rose vom Liebesgarten« beweist das nachdrücklich. Sie zeigt sich ganz von Pfitzners humanistischem Streben erfüllt. Man kann sie als heidnisches Gegenstück zu Wagners »Parsifal« verstehen.

Die Bewohner des Liebesgartens bilden eine ideale Gemeinschaft. Der nach dem freudig gefeierten Frühlingsfest zum Wächter des Frühlingstores ernannte Siegnot soll dem Garten neue Bewohner zuführen. Die Elfenkönigin Minneleide zieht Siegnot in ihren Bann. Als er sie nach einem groß angelegten Zwiegesang in den Liebesgarten führen will, kann sie dessen strahlendes Licht nicht ertragen. Sie gerät in die Fänge des Nachtwunderers, der sie in sein finsteres unterirdisches Reich entführt. Siegnot kann sie zwar befreien, findet dabei aber den Tod. Auf dem erneuten Weg zum Liebesgarten wird auch Minneleide getötet. Doch Stimmen der Gnade erwecken Minneleide und Siegnot.

In diesem Geschehen geben Hans Pfitzner und sein Librettist James Grun den Kräften der Liebe mehr Raum als denen der Finsternis. Der symbolhafte Schluss drückt die Hoffnung des damals 30-jährigen Komponisten aus, die Menschlichkeit möge sich behaupten. Diese Grundhaltung prägt Pfitzners gesamtes Werk.

Ein Problem seiner Opern liegt allerdings darin, dass sie keine so stringente Dramaturgie besitzen wie die des Vorbilds Richard Wagner. Dem wirkte Pfitzner mit seiner ausdrucksdichten Gestaltung der Singstimmen und des Orchesters entgegen. Er fand bei allen Verbindungen zu Wagner eine ganz eigene Melodieführung, Harmonik und Orchestrierung. Zumal die Harmonik erweiterte er bei grundsätzlicher Wahrung der Tonalität weit über deren Grenzen hinaus.

Der vom Opernhaus Chemnitz verpflichtete Regisseur Jürgen R. Weber nennt für die von den Autoren nicht fixierte Zeit der Handlung eine ferne Zukunft. Entsprechend entwarf Sven Bindseil Fantasiekostüme. Den gutartigen Moormann lässt er allerdings in einem hellen, zur Hälfte geschwärzten Anzug mit Schlips auftreten. Minneleide muss sich teilweise absolut nicht zu ihrem Gesang passende Erotik-Kostümierung gefallen lassen. Insgesamt zeigt sich Weber auf die Gestaltung eines intensiven Bühnengeschehens bedacht. Dabei erhielten die als Double der Hauptgestalten hinzuerfundenen Tänzer Schatten (Felipe Rocha), Schättin (Ramona Capraro) und Zwittergöttin (Alisha Coon und Bert Uyttenhove) sowie weitere Mitglieder der Tanzgruppe in der Choreografie Lode Devos‘ umfangreiche Aufgaben. Als weniger sinnvoll erweisen sich die Aktionen des hinzuerfundenen Hausmeisters.

Die überzeugende Führung der Darsteller hatte wesentlichen Anteil am großen Erfolg der Premiere. Erin Caves als Siegnot und Astrid Weber als Minneleide bewältigen die großen Anforderungen ihrer Partien überzeugend. Ihr strahlend gesungenes großes Duett im ersten Akt schafft ein Höhepunkt. Ebenso beeindrucken Kouta Räsänen als Waffenmeister und Nachtwunderer sowie André Riemer als Moormann. Auch die kleineren Partien sind mit Andreas Kindschuh als Sangesmeister, Jana Büchner als Schwarzhilde und Tiina Penttinen als Rotelse stimmig besetzt. Der Chor und der Kinderchor der Oper Chemnitz, von Marys Adelyn Kauffman einstudiert, stehen auf der Höhe ihrer Aufgaben.

Schwierigkeiten entstanden durch die Erkrankung des Generalmusikdirektors Frank Beermann, der mit der Einstudierung begonnen hatte. Doch der Kapellmeister Domonkus Héja übernahm diese komplizierte Aufgabe kurzfristig, leitete die letzten Proben und dirigierte die Premiere, die vom MDR-Figaro mitgeschnitten und live übertragen wurde, mit großem Einsatz. Da bleibt an klanglicher Differenzierung allerdings noch manches zu tun, auch im Klangverhältnis zwischen Sängern und Orchester. Für die geplante CD-Produktion könnte der Tonregisseur da wohl schon manches geregelt haben.

Mit dem Blick auf den 140. Geburtstag Hans Pfitzners am 5. Mai und den 60. Todestag am 22. Mai 2009 vollbrachte die Oper Chemnitz eine große Tat, die zu einer sachlichen, unvoreingenommenen Beschäftigung mit dem bedeutsamen Werk Pfitzners führen und es dem Musik- und Theaterleben wieder erschließen sollte.

Nächste Aufführungen am 6. und 13. Dezember

Kommentare zur Aufführung der ROSE VOM LIEBESGARTEN vom 6.12.2008

Kommentare zur Aufführung der ROSE VOM LIEBESGARTEN vom 6.12.2008

Auch hier sind Sie eingeladen Kommentare niederzuschreiben. Aber nur wenn Sie auch in der Aufführung vom 6. Dezember waren. Falls Sie in DIE ROSE VOM LIEBESGARTEN zum 2. mal gehen, (ich habe gehört, dass Einige diesen Vorsatz gefasst haben): Was ist Ihnen aufgefallen? Haben Sie die ROSE VOM LIEBESGARTEN anders wahrgenommen? Warum gehen Sie überhaupt in die Oper? Schreiben Sie! Danke!

Böhse Opern? FREIE PRESSE 1.12. Von Tim Hofmann

Böhse Opern? FREIE PRESSE 1.12. Von Tim Hofmann

Böhse Opern?

Verpasste Wurzel-Analyse

„Mitte gegen Rechts“ ? Klar! Nur wo genau geht es denn los, dieses „Rechts“? Das Problem bei Neofaschismus, Antisemitismus und Rassenhass sind heutzutage weniger die extremen Ausprägungen. So schlimm und plakativ diese im Einzelfall auch sind: Dagegen hat unsere Gesellschaft recht griffige juristische Werkzeuge. Schwierig wird es bei den Wurzeln, die zu häufig nur in sozialen Brennpunkten gesucht werden. Irrtum Eins bei der immer wieder aktuellen Rechts-Debatte: Der braune Rand habe keine innere Logik und sei daher nur für Menschen mit einer gewissen Vertrottelung beziehungsweise Frustration interessant. Fakt jedoch ist: Der Faschismus sog einst seine Nährstoffe aus unser aller Kultur, was in der Regel zu zwei Reaktionen führt. Entweder werden esoterisch-völkische Gedanken unreflektiert verteufelt, wie das etwa bei der immer wieder auftretenden Panik gegenüber Runen oder nordischer Mythologie zu beobachten ist – oder aber als Humbug in die Fantasy-Kiste gepackt.

Irrtum Zwei: „Rechtes Gedankengut“ lässt sich nicht so sauber aus dem demokratischen Deutschland trennen wie man das gern hätte. Wie groß die Überschneidungen oft sind, zeigt die Begeisterung vieler Rechtsextremer für Joseph von Eichendorff, Johann Wolfgang von Goethe oder selbst Heinrich Heine.

Es gibt nach wie vor eine breit gefächerte „Soft-Rechte“, die sich von der Mitte bis zum Rand der Demokratie nahtlos mit dieser mischt. Das ist Publikum, welches in opulenten Wagner-Inszenierungen an kritischen Stellen oft nicht kritisch, sondern erfreut lauscht. Publikum, das bei einer Rockband wie den Böhsen Onkelz deswegen hinhört, weil diese zielgerichtet jene Sprache bedient, die Rechte weit vor der Extremismusmarke, quasi auf der „richtigen“ Seite, anspricht. Die Band zählt im übrigen zu den beliebtesten deutschen Gruppen der letzten 20 Jahre – auch, weil sie „Nicht-linke“ mit unverfänglicher tönender Treue-und-Ehre-Folklore bedient. Um das Phänomen mit seiner inneren Logik zu verstehen, muss man daher dort mit der Wurzel-Analyse beginnen. Theoretisch hätte also die Aufführung der „Rose im Liebesgarten“, die, vom ausgewiesen völkischen Antisemiten Hans Pfitzner mit seiner Weltsicht symbolisch vollgepackt, in Chemnitz extra für junges Publikum aufgemacht ist, einiges tun können, um die Tiefen der nordisch-mythischen „Thor-Steinar-Faszination“ auszuleuchten. Diese Chance wurde leider vertan.

Von Tim Hofmann

Erschienen am 01.12.2008

© Copyright Chemnitzer Verlag und Druck GmbH & Co. KG

Am Ende müssen die Guten ins Klo 1.12. FREIE PRESSE Von Reinhard Oldeweme

Am Ende müssen die Guten ins Klo 1.12. FREIE PRESSE Von Reinhard Oldeweme

Am Ende müssen die Guten ins Klo

Jürgen R. Weber inszeniert „Die Rose vom Liebesgarten“ in Chemnitz als ein Sammelsurium an szenischen Effekten

Chemnitz. Dreieinhalb endlos lange Stunden fragt sich der Zuschauer: Was ist das, was Jürgen R. Weber als seine Inszenierung der Oper „Die Rose vom Liebesgarten“ von Hans Pfitzner auf die Bühne des Chemnitzer Opernhauses bringen will? Mögliche Antworten gibt es einige: Eine mit Comedyelementen aufgepeppte Komödie, bei der niemand lachen will. Vielleicht doch eher ein melodramatisches Trauerspiel, das nicht eine Sekunde lang zu Tränen rührt. Oder gar ein märchenhaftes Fantasyspektakel, bei dem sich die sagenhafte Mystik in stereotypen Andeutungen verfängt. Infrage als Genre kommt auch der Thriller, der reichlich blutigen Horror braucht, um zumindest eine Ahnung von Spannung zu erzeugen. Oder doch mehr ein Musical mit Tanzeinlagen? Ein Comic mit lebenden Figuren?

Die Antwort: Von allem etwas ist das Stück ein Sammelsurium an szenischen Effekten, für das die Zuschauer am Samstag nach der Premiere nur verhaltenen Beifall übrig hatten. Jürgen R. Weber hat mit viel materiellem Aufwand und sinnigen Ergänzungen der Handlungsstränge versucht, das Manko dieser Oper, dass das Libretto an sich eine dramaturgische Katastrophe ist, mit Originalität wettzumachen. Alle politischen, sozialkritischen und weltanschaulichen Tiefen hat er geglättet oder eliminiert. Nichts ist anrüchig, alles ist brav. Es darf sogar viel und ausgelassen getanzt werden.

Dabei verliert sich die Oper trotzdem in der Länge der sich dahinschleppenden Szenen. Da hätte der Rotstift viel retten können, doch Weber wollte das Original. Er hat es bekommen, aber nicht vor der Spielerei ohne tieferen Sinn retten können. Das von ihm gestaltete Bühnenbild ist genauso monumental wie farbenprächtig stimmungsvoll. Aber: Ein Klo als Eingang zur Unterwelt ist lustig, reißt die Sache aber nicht raus. Das gilt auch für die von Sven Bindseil entworfenen Kostüme, die fantasiereich und trotz der Nähe zu Sternenkriegern, Ringsuchern und Zauberschülern eine Augenweide sind; einschließ´lich geschlechtsbetonter Accessoires. „Die Rose vom Liebesgarten“ will Hollywood sein, das reicht aber nicht.

Eine tatsächlich originelle Bereicherung sind die groß an die Seitenwände der Bühne projizierten Erläuterungen der Handlungen. Aus zwei Gründen: Ohne diese Hinweise hätte man die Geschichte vermutlich gar nicht verstanden. Mit ihren respektlos flapsigen und frechen Kommentaren (von „laber, laber, gähn“ über „träum weiter“ bis zu „Sollen wir abbrechen?“) haben sie der Aufführung viel an Strenge genommen.

Nun das Lob: „Die Rose vom Liebesgarten“ ist eine höchst musikalische Oper, deren sinfonischer und absoluter Charakter von expressiver Klangtiefe geprägt ist. Domonkos Héja hat bei der Premiere reichlich zu tun, die Musiker der Robert-Schumann-Philharmonie durch dieses Dickicht an poetischen und dramatischen Wendungen zu lotsen. Aber: Der Dirigent schafft es, und die elementare Wucht der Musik kann sich voll entfalten.

Von den Solisten verlangt der Regisseur ein Höchstmaß an schauspielerischen Einsatz. Die einen gehen darin auf, die anderen wirken etwas blass. Aber: Technisch und musikalisch sind die Sängerinnen und Sänger an diesem Abend eine Klasse für sich. Astrid Weber in der Rolle der Minneleide singt sich genauso kraftvoll wie lyrisch verinnerlicht durch das Gefühlsleben dieser Frau, während Jana Bücher (Schwarzhilde) und Tiina Penttinen (Rotelse) bei emotionalen Ausbrüchen alles aus ihren Stimmen herausholen. Bei den Männern heben sich Erin Caves als Siegnot und Kouta Räsänen als Nachtwunderer hervor; der eine elegisch schmachtend, der andere teuflisch fordernd.Kommentar

Service

Die nächsten Vorstellungen sind am 6. und 13. Dezember jeweils um 19.30 Uhr. Kartentelefon 0371 4000430.

© Copyright Chemnitzer Verlag und Druck GmbH & Co. KG

Zwerge, Mutanten und Kämpfe FREIE PRESSE 29.11.08/Tim Hofmann

Zwerge, Mutanten und Kämpfe FREIE PRESSE 29.11.08/Tim Hofmann

Zwerge, Mutanten und Kämpfe

Radio überträgt heute aus der Chemnitzer Oper die Premiere der „Rose vom Liebesgarten“ von Hans Pfitzner

Chemnitz. Der Begriff „Kult“ fällt in der Musik oft dann, wenn wenige, aber wichtige Menschen ein Werk richtig super finden, der übergroße Rest damit allerdings wenig anfangen kann. Aus dieser Sicht kann man die romantische Oper „Die Rose vom Liebesgarten“ durchaus als solchen bezeichnen – neben dem Komponisten Hans Pfitzner (1869 bis 1949) selbst sind zumindest von zwei gewichtigen wie prominenten Zeitgenossen euphorische Reaktionen überliefert. Max Reger soll das spätromantische Stück ein „großartiges, herrliches Werk“ genannt haben, und Gustav Mahler stellte es in eine Reihe mit Wagners „Walküre“.

Darüber hinaus kam das Stück seit seiner Entstehung weder bei Kritikern noch beim Publikum besonders gut an – das eigenwillige Libretto des Engländers James Grun stand der schönen Musik im Weg. An dieser „Bruchstelle“ will Regisseur Jürgen R. Weber die Oper aufnehmen und von Chemnitz aus zu einem deutschlandweit beachteten Erfolg machen. „Mich haben vor allem die trashigen Elemente gereizt. Es gibt Zwerge, Mutanten und viele Kampfszenen, die man einfach nur aufnehmen muss. Ich nehme den Stoff ernst, setze ihn aber mit viel Spaß um.“ Einige der störenden unlogischen Sprünge des Original-Märchens reichert man dabei mit etwas mehr Hintersinn an. Die Hauptfigur Siegnot, ein eigentlich etwas plumper Wagner-Epigon, wird von Weber in eine Anti-Helden-Rolle à la Bilbo Beutlin gesteckt. „Für mich hat das Stück viel angelsächsische Dramatik im Sinne von Shakespeare oder Tarantino. Da gibt es auch meist zwei ganz verschiedene Ebenen, die nur auf den ersten Blick unvereinbar scheinen.“

Wenn Weber das Stück zu einem Fantasy-Spektakel umarbeitet, dann nicht, weil er Pfitzners fragwürdiges Weltbild ignoriert. „Diese Oper eignet sich einfach nicht zur ideologischen Auseinandersetzung.“ Der Theater-Regisseur, der sich auch hinter der Kamera der Fernsehserie „Gute Zeiten Schlechte Zeiten“ einen Namen gemacht hat, will mit der „Rose“ eine ganz eigene Welt mit eigenen Logos schaffen. Nicht als Persiflage, aber mit einem Augenzwinkern, wie er sagt. Dass das funktionieren wird, traut er dem Chemnitzer Publikum zu. Nicht zuletzt, weil er die spätromantische Musik Pfitzners auch als Blaupause für Filmkomponisten wie Jerry Goldsmith sieht. „Meine 80-jährige Mutter kommt zur Premiere ebenso wie meine Kinder, die Teenager sind. Ich will einfach ein Stück für alle auf die Bühne bringen.“ Wenn das klappt, sollte Chemnitz in aller Munde sein.

Die Oper im Radio

MDR Figaro überträgt die Premiere der „Rose vom Liebesgarten“ heute ab 19.30 Uhr live aus dem Chemnitzer Opernhaus. Der Deutschlandfunk zeichnet den Abend auf und strahlt die Aufführung am 13. Dezember um 19.05 Uhr auf Deutschlandradio Kultur aus.

Von Tim Hofmann

© Copyright Chemnitzer Verlag und Druck GmbH & Co. KG

‚Rose vom Liebesgarten‘ in Chemnitz Spektakulär //Klassik Com// Kritik von Toni Hildebrandt

‚Rose vom Liebesgarten‘ in Chemnitz Spektakulär //Klassik Com// Kritik von Toni Hildebrandt

Hans Pfitzners ‚Rose vom Liebesgarten‘ in Chemnitz

Spektakulär – Gustav Mahlers Lieblingsoper

Kritik von Toni Hildebrandt

Hans Erich Pfitzner

‚Seit der Walküre, erster Akt, ist etwas ähnlich Großartiges nicht geschrieben worden!’, schrieb Gustav Mahler – euphorisch wie selten – in einem Brief an Alma Mahler-Werfel. Das Werk, das Mahler so begeistert hatte, war Hans Pfitzners ‚Rose vom Liebesgarten‘, eine romantische Oper, die seitdem in völlige Vergessenheit geraten ist.

Von der Seifenoper zum Musikdrama

Die Chemnitzer Oper hat nun Pfitzners bemerkenswerten Zweiakter neu inszeniert. Für die Produktion wurde dabei kein geringerer als Jürgen Weber gewonnen. Seit Schlingensief – so könnte man Mahler nun paraphrasieren – ‚ist etwas ähnlich Verrücktes nicht inszeniert worden!’ Jürgen R. Weber hat vom medialen Showspektakel bis hin zur absurden Märchenoper seine ganze überschäumende Phantasie ausgepackt und ist dabei keineswegs übers Ziel hinaus geschossen. Dass viele Elemente geradezu kinematographischen Charakter haben, liegt schon in der Natur seines Schöpfers. Denn Weber wandte sich unmittelbar nach seinem Studium bei Götz Friedrich zunächst dem Fernsehen zu und ‚spielleiterte’ dort einige bekannte und weniger bekannte ‚Seifenopern’ (GZSZ, Sturm der Liebe usw.). Doch in seinem bunten Lebenslauf finden sich ebenso unbarmherzige und konsequente Inszenierungen, bei denen er sich als innovativer Theatermacher präsentierte: ‚Die Leiche im Sack‘ oder der ‚Der Graf von Luxemburg‘ waren beides große Erfolge an ihren Spielstätten in Erfurt und Leipzig. Bei aller Ambivalenz kann man Weber auch bei seinem Chemnitzer Operndebüt wohl eines kaum vorwerfen – und das ist Populismus. Dass sein Pfitzner innovativ und extrovertiert werden sollte, bahnte sich schon im Vorfeld an. So wurde die Entstehung der Opernproduktion mit einem eigenen, äußerst humorvollen Blog im Internet begleitet (www.rosevomliebesgarten.de) und auch die international auserwählte Besetzung versprach bereits eine sehr viel versprechende Aufführung. Webers ‚Fantasy-Oper’ hat diese Versprechen vollends eingehalten und ist nach Mascagnis ‚Iris‘ und Nicolais ‚Il Templario‘ eine weitere beeindruckende Wiederentdeckung am Chemnitzer Opernhaus.

Von Siegnot und Minneleide

Ein kurzer Blick auf das Namensverzeichnis der Oper genügt bereits und die Synopse mag den Einfluss noch mehr erhellen: Die ‚Rose im Liebesgarten‘ ist in erster Linie Abarbeitung an Richard Wagner. Die Handlung ist entsprechend kryptisch und in ihren mythologischen Bezügen nicht leicht zu entschlüsseln. Wie beim ‚Ring des Nibelungen‘ steht im Mittelpunkt des Werkes zunächst ein Symbol. Aus der Brust des Helden wächst eine Rose und diese besitzt magische Kräfte. Erst kürzlich hat Francis Ford Coppola die Rose ganz ähnlich mythologisiert. Bei Pfitzner ist sie jedoch nicht der Schlüssel zur Weisheit, sondern zur Liebe und dessen irdischem Garten. Ein langes Vorspiel präsentiert diesen ‚Locus amoenus’“, der als ‚Liebesgarten’ bei Pfitzner eine Art pseudogermanisches Paradies herbeiphantasiert. Bei Weber finden wir uns nicht weniger auf dem Boden der Tatsachen. Seine Zeitreise führt in eine Fantasy-Welt, die in einer Art Cyber-Space von Mutanten, Freaks und Außerirdischen bevölkert wird. Einige der zahlreichen absurden Szenarien mögen von Adventures oder Computerspielen inspiriert worden sein. Verwandlung ist dabei von Beginn an Trumpf und Pfitzners Oper lebt, wie Webers Inszenierung von den vielen Metamorphosen und verrückten Gestalten. So ist vom eigentlichen Liebesgarten nicht mehr viel übrig.

Dennoch erscheint nun hier die Sternenjungfrau, von Weber als ‚Zwittergöttin’ zur vierarmigen Medusa verdoppelt, und weiht ihren Helden Siegnot mit der Rose zum heiligen Hüter des Frühlingstors. Allein durch dieses Tor gelangt man in den Liebesgarten. Doch – wer hätte es gedacht? – Siegnot muss sich erst noch in die Elfenkönigin Minneleide verlieben. Ihr schenkt er mit der Liebe nun auch seine Rose und gibt damit sein Schicksal aus der Hand. Als Minneleide vom Licht geblendet aus dem Liebesgarten in den Wald flieht, gerät sie in die Fänge des Nachtwunderers, der mit seinem Gefolge das dunkle Gehölz bewohnt. Ein Moormann erinnert Siegnot jedoch beharrlich an seine ‚Not zu Siegen’ und gemeinsam dringen nun auch sie in die Unterwelt um Minneleide zu befreien. Als dies misslingt und Siegnot brutal zusammengeschlagen wird, kommt es zum teuflischen Pakt. Allein wenn es Minneleide gelinge, ins Licht des Liebesgartens zurück zu kehren um dort die Rose zu hinterlassen, kommt sie samt ihrem Geliebten frei. Andernfalls muss Siegnot sterben. Doch auch diesmal versagt Minneleide. Mit letzter Kraft gelingt Siegnot in einem finalen Kampf die Befreiung, die ihn allerdings selbst mit in den Tod reist. Erst jetzt erkennt Minneleide die Liebe Siegnots und schöpft daraus eine letzte entscheidende Kraft. Sie kehrt zurück zum Wintertor des Liebesgartens und besiegt den grausamen Winterwächter, doch auch sie wird dabei mit in den Tod gerissen. Unerwartet (oder erwartet) erklingen nun aus der Ferne Stimmen der Gnade. Die Seelen von Siegnot und Minneleide erheben sich zu ewigem Leben im Liebesgarten.

Zwischen Mythos und Trash

Bereits die zeitgenössische Kritik erkannte, dass das Libretto von James Grun – einem Jugendfreund von Hans Pfitzner – keineswegs dem Niveau der Musik entsprach und an manchen Stellen arg zu wünschen übrig ließ. Das mythische Pathos und die märchenhafte Grundstimmung gehen an keiner Stelle über den Parsifal hinaus. An vielen Stellen bleibt Pfitzner weit hinter der Dramaturgie Wagners zurück. Und doch ist es Jürgen R. Weber durchweg gelungen, die Personenkonstellationen interessant zu gestalten und eine klare Stringenz der Handlung heraus zu arbeiten. Äußerst belebend wirken die spektakulären Bühnen und die originellen Kostüme. Von der Jugendstil-Ästhetik und dem lyrischen Pantheismus eines Hans Thoma, der Pfitzners Werk zum Vorbild dienen konnte, ist dabei nicht mehr viel übrig geblieben. Stattdessen setzt Weber auf überschäumende Fantasy, Sadomasochismus, Martial Arts und Kitsch. Man assoziiert Schlingensief, den späten Pasolini oder Jonathan Meese, denkt an Trash und Walt Disney oder an das, was heute vielleicht der Funktion der Oper am nächsten kommt, ans Kino ‚made in Hollywood’ – am ehesten irgendwo zwischen Tarantinos ‚Kill Bill‘ und dem surrealen Lynch. Und doch funktioniert Webers unkonventionelle Inszenierung, vielleicht gerade aufgrund all ihrer Absurdität, gerade so erstaunlich gut. Schließlich war Pfitzners Oper bereits zur Entstehungszeit (1901) ein genauso verqueres Machwerk, das vom Jugendstil-Mythos bis zu einer nicht mehr genau definierbaren Religiosität alles in einen Topf warf, was die spätromantische Phantasie eines Wagner-Epigonen erlaubte.

Von den vielen gelungenen und ungewöhnlichen Ideen Webers einige herauszuheben fällt schwer. Äußerst gelungen sind sicherlich die Kommentare, welche jeweils links und rechts vom Bühnengeschehen erscheinen, und mit viel Ironie und Witz, zwar eigentlich die Oper ad absurdum führen, aber ihr im selben Atemzug eine neue, humorvolle Dimension eröffnen. Außerdem erleichtern diese Texte das Verständnis der Handlung und sorgen wie im Comic für kurzweilige Komik. Pfitzner – wer hätte das vorher gedacht? – kann durchaus auch unterhaltsam und witzig interpretiert werden. Das weiß man nun seit der Inszenierung von Jürgen R. Weber. Auch muss man die vielen innovativen Einfälle Webers allein schon deswegen loben, weil es nur so gelingt, eine Spannung und einen hohen Abwechslungsreichtum aufrecht zu halten, den die Oper im Prinzip nicht hergibt. Pfitzners Oper ist zwar durchweg gut komponiert, aber sie hat eindeutig Längen und ihr fehlt es an musikalischen Höhepunkten. Auf was Mahler in seinem überschäumenden Lob wohl abhob, war die bisweilen großartige Instrumentierungskunst Pfitzners, die von der Robert-Schumann-Philharmonie auch sehr ansprechend und gewohnt ausdifferenziert dargestellt wurde. Domonkos Héja, der kurzfristig für den erkrankten GMD Frank Beermann einspringen musste, merkt man die Vertrautheit mit der Partitur an, wenngleich natürlich die nötigen Vergleichsbeispiele fehlen, um ein differenzierteres Urteil über die Interpretation zu fällen. Neben dem äußerst überzeugenden Chor, ist das Gesangsensemble in den entscheidenden Rollen erstklassig besetzt. Erin Caves singt einen hervorragenden Siegnot. Stimmlich sicher und flexibel im Timbre überzeugt er besonders in den lyrischen Momenten und beweist sich einmal mehr als einer der ganz großen Heldentenöre im deutschen Raum. Seine Partnerin Astrid Weber überzeugt nicht weniger durch ihre intensive, ausdruckstarke und kraftgeladene Interpretation der Minneleide. Gesanglich enttäuschend ist eigentlich nur der Part des Nachtwunderers. Den finnischen Bass Kouta Räsänen mangelt es an Klarheit in der Artikulation und Diktion, über die sein Schauspiel nur unbefriedigend hinwegtäuschen kann. Der mit Sicherheit beste strategische Einfall Webers war die Integration des Balletts in die Oper Pfitzners. Unter der choreographischen Leitung von Lode Devos werden die stummen Rollen des Schattens (Felipe Rocha), der Schättin (Ramona Capraro) und der Zwittergöttin (Alisha Coon/Bert Uyttenhove) so zum einen vom restlichen Personal subtil abgehoben und sorgten zum anderen an vielen Stellen für eine, die Oper belebende, neue Dimension. Der meiste Applaus ging am Ende dann auch bezeichnenderweise nicht an die Sänger, sondern mit Felipe Rocha und Ramona Capraro an die besten Tänzer des Abends.

Hans Pfitzner heute?

Wenn man Pfitzners spätromantische Musik in der ‚Rose vom Liebesgarten‘ hört und der Stringenz seiner kompositorischen Architektur folgt, kann man sich eigentlich nur wundern, dass dieses ‚seltsame Meisterwerk’ bis heute so wenig Beachtung gefunden hat. Sicher ist Pfitzner aufgrund seiner biographischen Verwicklungen in der NS-Zeit noch immer ein schwieriger Fall und keineswegs ein Publikumsliebling. Die kürzliche Kontroverse zwischen Ingo Metzmacher und dem Zentralrat der Juden hat dies deutlich gezeigt. An Fingerspitzengefühl sollte es nach wie vor nicht fehlen, wenn man Pfitzner auf die Bühne bringt. Dennoch sind gerade seine frühen, spätromantischen Werke schlichtweg zu gut komponiert, wenngleich Pfitzner nur an seltenen Stellen entscheidend über den Materialstand bei Wagner hinausgeht. Allein den Respekt den Pfitzners ‚Palestrina‘ seit langem im internationalen Repertoire genießt, könnte durchaus auch der ‚Rose vom Liebesgarten‘ zukommen – eine Oper, die im übrigen heute in keiner einzigen CD- oder Platteneinspielung verfügbar ist.

Eines kann man deswegen gewiss in Chemnitz lernen: ein bisschen weniger Strauss & Wagner, und dafür etwas mehr von Hans Pfitzner, Richard Wetz und von all den anderen längst vergessenen Opernkomponisten der Spätromantik würde doch sehr viel mehr Abwechslung in die Spielpläne der Opernhäuser bringen. Das Chemnitzer Publikum war jedenfalls ebenso positiv überrascht, wie begeistert.

(Die Produktion wird beim Klassiklabel cpo auf CD erscheinen.)